Sonntag, 25. Februar 2018

Ent-täuschte Liebe



Predigt an Reminscere (25.02.2018)

Jesaja 5, 1-7
Wohlan, ich will von meinem lieben Freunde singen, ein Lied von meinem Freund und seinem Weinberg. Mein Freund hatte einen Weinberg auf einer fetten Höhe. Und er grub ihn um und entsteinte ihn und pflanzte darin edle Reben. Er baute auch einen Turm darin und grub eine Kelter und wartete darauf, dass er gute Trauben brächte; aber er brachte schlechte.
Nun richtet, ihr Bürger zu Jerusalem und ihr Männer Judas, zwischen mir und meinem Weinberg! Was sollte man noch mehr tun an meinem Weinberg, das ich nicht getan habe an ihm? Warum hat er denn schlechte Trauben gebracht, während ich darauf wartete, dass er gute brächte?
5 Wohlan, ich will euch zeigen, was ich mit meinem Weinberg tun will! Sein Zaun soll weggenommen werden, dass er kahl gefressen werde, und seine Mauer soll eingerissen werden, dass er zertreten werde. Ich will ihn wüst liegen lassen, dass er nicht beschnitten noch gehackt werde, sondern Disteln und Dornen darauf wachsen, und will den Wolken gebieten, dass sie nicht darauf regnen.
Des HERRN Zebaoth Weinberg aber ist das Haus Israel und die Männer Judas seine Pflanzung, an der sein Herz hing. Er wartete auf Rechtsspruch, siehe, da war Rechtsbruch, auf Gerechtigkeit, siehe, da war Geschrei über Schlechtigkeit.

Zu tiefst enttäuscht
Eine zutiefst enttäuschte Liebe. Groß war ihre Hoffnung, ihre Erwartung. Voller Liebe war ihr Herz, überall voll Sehnsucht und Wunsch; alles hat sie daran gegeben, gemacht: sie hat umgegraben, Stein für Stein entfernt, den Boden bereitet; hat mühsam mit den Händen eingepflanzt, sorgfältig Reihe für Reihe, hat darauf Turm und Kelter gebaut und alles gemacht, dass, Pflanzen, Trauben und die Liebe wachsen können, hat alles an Arbeit, Mühe und Herzblut investiert und wurde enttäuscht. Enttäuscht von einem nahezu lapidaren Satz, Sachverhalt: aber er brachte schlechte Trauben. Bitter enttäuschte Erfahrung: Statt Rechtsspruch nur Rechtsbruch, statt Gerechtigkeit nur Geschrei und Schlechtigkeit.
Zutiefst enttäuschte Liebe. Die Hoffnung hat sich nicht erfüllt. Die Mühe nicht gelohnt. Die Erwartung ging leer aus. Nur schlechte Trauben. Keine Gegenliebe. Traurige Liebe, desillusioniert, verärgerte, hilflose, hadernde, wütende Liebe.

Warten …
Liebe, die gewartet hat. Zwischen Pflanzen und Wachsen, zwischen eigenen Tun und erhofften Werden, zwischen eigenem Lieben und Lieben des anderen. Warten wir eine Ewigkeit, warten, in dem alles liegt: Erfüllung und Enttäuschung, erfüllte Liebe und enttäuschte Liebe. Ein sich schier unendlich ziehendes Warten auf alles und nichts.
Zuerst ein Liebeslied, wie ein Bewunderer erzählt es vom Freund und seiner Liebe, als würde man singend und lauschend danebenstehen, mit liebend schauen auf das Wunder des Liebens, des Sich-Hingebens, des Werdens. Ein Lied, eine Erzählung vom Weinberg, ein Gleichnis für Gottes Liebe. Und dann wird sie zum Gerichtswort, und gekränkt vom enttäuschten Lied werden andere angesprochen, öffnet sich der Horizont vom bewundernd intimen Lied zur unerbittlichen Gerichtszene, und irgendwie werden wir mit hineingezogen in die Frage: Was sollte man noch mehr tun? Richtet nun! Und dem Blick auf die Liebe folgt die Verwundung der Liebe und der Weg zum Recht und aus den Liebenden werden vor Zeugen Richter und Gerichtete: ich will euch zeigen! Und am Ende wird fast unbarmherzig die Bedeutung von allem aufgelöst, es wird fast nachrichtlich gesagt, wer was ist und das anfängliche Lied wird zur Notiz eines bitter nacherzählten Prozesses der Zerstörung.

Aus!!
Was geschieht mit enttäuschter Liebe? Was machen Menschen damit? Sie ziehen sich zurück und leben enttäuscht und gekränkt. Vielleicht heilt ihre Wunde, vielleicht auch nie. Oder sie lernen mit der Enttäuschung zu leben, sie wird immer weniger bedeutsam und das Lieben wird irgendwann wieder freier und mutiger. Oder sie stecken Enttäuschung einfach weg, als können sie der Liebe nichts anhaben und lieben ohne weiteren Schaden einfach weiter. Oder sie kämpfen um die Liebe, die sie enttäuscht hat, und um die Liebe in ihnen, dass sie weiter liebt, um die Liebe, die der andere ist. Oder sie suchen die Enttäuschung im anderen und in sich, lassen nicht los, wollen weiter lieben und lieben gegen andere Hoffnung an. Oder sie verkehren aus Enttäuschung ihre Liebe ins Gegenteil, beginnen zu hassen und zerstören, was sie vorher aufgebaut haben.
Der Gott vom Weinberg kennt kein Oder mehr. Er reißt Zaun und Mauer ein; überlässt seinen Weinberg, sein Geliebtes dem freien Spiel der Kräfte; er bietet ihm keinen Schutz mehr, lässt ihn kahlfressen und zertreten, Schritt für Schritt. Er lässt ihn wüst liegen, sieht Dornen und Gestrüpp darüber wachsen, sieht ihn verdorren und alsbald nichts mehr von den ehemals „fetten Höhen“, die er lieben und wachsen lassen wollte, nichts mehr von dem, was er lieben und mit dem er leben wollte. Eigentlich auch ein einsamer Gott, einsam aus enttäuschter Liebe.

Stiller Schrei
Und in der Passion Jesu, in die wir hineinleben in den kommenden Wochen: Welche Liebe, Liebe Gottes erscheint uns aber, uns aber in der Passion Jesu? Welche wird da für uns ablesbar? Auch ein enttäuschte? Eine auf dem Prüfstand gestellte? Eine in der Zerreißprobe? Eine merkwürdig erfüllte Liebe?
In der Passion sehen wir die Liebe Jesu, die scheinbar nicht endet, die bis zum bitteren Ende zitternd, ergeben, irgendwie doch kräftig Menschen und Gott liebt. Wir sehen die Liebe derer, die Jesus nachfolgen, schon seit ihrer Berufung; eine Liebe, die lieben will unter allen Umständen, aber es kaum schafft, eine Liebe, die ringt, einschläft, wegrennt, verleugnet, doch da bleibt, um ihn ins Grab zu legen. Wir sehen die Unliebe derer, die Jesu Liebe nicht verstehen können, die den Prozess gegen Jesus als Gottes Sohn anstreben, die ihn gefangen nehmen, die ihn schlagen, die ihn verurteilen, die ihn ans Kreuz schlagen. Eine Unliebe zumindest Jesus und seinem Gott gegenüber. Und wir sehen die Liebe Gottes, die doch enttäuscht sein muss von dem, was aus der Liebe Jesu wird, eine Liebe aber zu seinem Sohn, die durch diese Passion geht, durch die Passion all unserer Lebensjahre.
Vielleicht wird das Kreuz zum Ort der Liebe Gottes, zum Ort seiner zutiefst enttäuschten Liebe der Passion. Vielleicht wird das Kreuz zur Wahrheit dieser Liebe, zum Ort, an dem sie wirklich ent-täuscht wird, aller Täuschung enthoben. Am Kreuz tobt sich Gottes Liebe in ihrer Enttäuschung aus, mit aller Wucht, in aller Wut, in jedem Hammerschlag der Nägel, sie arbeitet sich an unseren Sünden, ans unserer Unliebe wütend ab. Am Kreuz wird Gottes Liebeswut, Gottes enttäuschte Liebe umgewandelt, transformiert all ihre Kraft, all ihre Kraft in ein „ich-liebe-euch-trotzdem“, hinein in jene geheimnisvolle Wucht der Auferstehung, als Gottes großes Trotz des Lebens. Und am Kreuz wartet Gott, still schreiend schon im vorgezeichneten Schmerz seiner zutiefst enttäuschten Liebe. Er wartet wie am Weinberg: zwischen Pflanzen und Wachsen, zwischen Tun und Werden, zwischen Hoffen und Enttäuschen, zwischen Lieben und Gegenliebe, er wartet auf uns. Amen.

Freitag, 16. Februar 2018

Wunderbare Gnade



Predigt an Invokavit (18.2.18)

2. Korinther 6, 1-10
Als Mitarbeiter aber ermahnen wir euch, dass ihr nicht vergeblich die Gnade Gottes empfangt. Denn er spricht (Jesaja 49,8): »Ich habe dich zur willkommenen Zeit erhört und habe dir am Tage des Heils geholfen.« Siehe, jetzt ist die willkommene Zeit, siehe, jetzt ist der Tag des Heils!
Und wir geben in nichts irgendeinen Anstoß, damit dieser Dienst nicht verlästert werde; sondern in allem erweisen wir uns als Diener Gottes: in großer Geduld, in Bedrängnissen, in Nöten, in Ängsten, in Schlägen, in Gefängnissen, in Aufruhr, in Mühen, im Wachen, im Fasten, 6 in Lauterkeit, in Erkenntnis, in Langmut, in Freundlichkeit, im Heiligen Geist, in ungefärbter Liebe, 7 in dem Wort der Wahrheit, in der Kraft Gottes, mit den Waffen der Gerechtigkeit zur Rechten und zur Linken, in Ehre und Schande; in bösen Gerüchten und guten Gerüchten, als Verführer und doch wahrhaftig; als die Unbekannten und doch bekannt; als die Sterbenden, und siehe, wir leben; als die Gezüchtigten und doch nicht getötet; als die Traurigen, aber allezeit fröhlich; als die Armen, aber die doch viele reich machen; als die nichts haben und doch alles haben.

Unbefleckt empfangen
Unbefleckt, wie unbeschrieben empfangen wir die Gnade. Nichts, aber auch nichts können wir dafür tun, dafür sein. Die Gnade Gottes ganz allein findet uns, widerfährt uns, schenkt Gott uns, beschreibt uns mit seinem Leben. Wann und wie es passiert, warum und durch was oder wen, bleibt uns verborgen, liegt nicht in unserer Verfügung, nicht in unserem Wollen, liegt vielleicht nur im unbestimmten Hoffen, aber nie so, als wüssten wir es schon ganz in diesem Moment, dass es für uns Gnade wäre, war und ist. Die Gnade Gottes wirkt aber, lässt uns Gottes Zuwendung spüren. Sie ist uns und unserem Leben, unseren Tun und Lassen, unserem Suchen und Finden vorgängig, sie begegnet uns aus ihren freien Stücken, unverdient, aber uns zugedacht, vorbehaltlos, aber genau für uns.
Der Gnade, die uns von sich aus trifft, dieser Gnade Raum und Zeit lassen, ihr nicht im Wege stehen, ihr nicht Widerstand leisten im inneren, sich von ihr nicht wieder ablenken lassen oder - ist sie gleichsam erscheinen - sie wieder verdecken, sondern: dieser noch zarten Gnade das Leben in uns geben, uns als ihren Ort begreifen, in unserer Zeit ihr Jetzt sehen, ihren Gnadenaugenblick, der wirken mag, auch wunderbar wirken lassen.

In Bewegung kommen
So sehr ist Gottes Gnade seine Zuwendung zu seinen Geschöpfen, ganz gleich wer und wie sie sind. So sehr ist Gottes Gnade Gottes Bewegung auf uns zu, auf seinen Menschen zu, ohne unsere anfängliche Bewegung. So sehr ist Gottes Gnade seine Nähe, seine Gegenwart in der mal ihm entgegengesetzten, mal gleichgültigen, mal wie entgegengehenden Bewegung unseres Lebens.
Teil werden dieser Gnade. Teil dieser göttlichen Bewegung, ihr Raum und Zeit lassen und selbst ihr Raum und Zeit werden, Mitarbeiter der Gnade werden, zusammen mit ihr sie in uns bewegen, immer wieder, immer mehr, gleich Marien die göttlichen Weihnachtsworte, Gnade in sich bewegen, gnadenbewegt, gnadenbeseelt, groß gemacht sein, magnificat: Wir sind sein Eigentum – wie wunderbar, wie gnadenvoll.

In der Fülle sein
Und alles bekommen, ganz und gar Empfangender, der Gnade wie im Dämmerlicht ansichtig, wissend sie ist der hellste Schein. Ihr Wirken in uns spüren, ihre Fülle uns geschenkt, tief, intensiv, uns zusammenfassend wie in einem göttlichen wundervollen Lebens-Mosaik.
Nicht vergebens, nicht leer, nicht entblößt, nicht beraubt, nicht nichts, sondern erfüllt von der Gnade Gottes inmitten aller Litanei, die das Leben uns auferlegt und abfordert, inmitten der manchmal schier unendlichen Aufzählungen von Situationen, Gemütslagen, Begegnungen, aneinandergereihten, verschiedenen Lebensmomenten.
In Not und Nöten, in Fraglichkeiten, in Situationen, wo wir ausgesetzt, wo wir furchtsam sind, wo wir wie blass, bedroht, verstummt, ratlos, ausgesetzt sind: Die Gnade ist uns, wirkt in uns. Jenseits aller Haltungen, aller erlernte, antrainierten, angeborenen Verhaltensmöglichkeiten: Die Gnade in uns und sie lässt und doch geduldig sein, doch die Liebe nicht vergessen, doch zugewandt bleiben, doch selbst ausstrahlen im eigenen Dunkel die Gnade anderen zu Trotz, anderen zu Gute. Und wenn die Hände leer sind, wir der Gedanken müde, wir nicht mehr genau wissen, wie jetzt Glauben leben, wie jetzt Christ sein, wie nur dem Widrigen selbst widerstehen, dann: Die Gnade ist in uns, darauf vertrauen, dadurch Mut haben: Wir waren Empfangende und die Gnade ist uns, sie hat selbst im Kleinsten in uns noch Platz, im Tiefsten noch ihren Raum. Gottes Gnade ist im Schwachen mächtig, im entleerten ist sie stille Fülle, dem Ausweglosen noch Weg, dem Mundtodgemachten Wort, im Tod der Trost. Die Gnade ist in uns, sie hört von sich aus auch nie auf damit, sie dient uns in allem.

Dienstbar
Und so – genau so - schon immer Diener der Gnade sein. Sie unbefleckt empfangen, in ihrer Bewegung aufgehen, ihre Fülle erbarmend spüren und selbst darüber zum Diener der Gnade geworden sein. Jeder Gedanke an vergeblich ist vertrieben. Wir dienen der Gnaden und uns, wir kümmern um uns um sie, wir pflegen sie in uns, wir gewähren ihr Raum und Zeit, lassen sie gut in uns wohnen.
Wir dienen der Gnaden und anderen Menschen, werden durchsichtig für die Gnade in uns, werden transparente Gnadenmenschen und geben weiter, was wir empfangen, genauso vorbehaltlos, genauso für andere unverdient, genauso aus freien Stücken, mutig beseelt und gnadenvoll entschlossen.
Wir dienen der Gnade und wir dienen so Gott. Von dem Augenblick an, als sie mir Unbeholfenen geschenkt wurde, als ihre Fülle in mir Raum nahm, zu wohnen begann und ich zum Teil ihrer Bewegung wurde, in jedem Augenblick, in dem sie in mir lebt und mich beseelt. Wir dienen in allem Gottes Gnade, so wie sie uns in allem dient. Ein fröhlicher Wechsel. Wie wunderbar. Amen.