Predigt am Sonntag Exaudi (12.5.18)
Jeremia 29, 1.4-7.10-14
Dies sind die Worte des Briefes, den
der Prophet Jeremia von Jerusalem sandte an den Rest der Ältesten, die
weggeführt waren, an die Priester und Propheten und an das ganze Volk, das
Nebukadnezar von Jerusalem nach Babel weggeführt hatte ... So spricht der HERR
Zebaoth, der Gott Israels, zu allen Weggeführten, die ich von Jerusalem nach
Babel habe wegführen lassen:
Baut Häuser und wohnt darin; pflanzt
Gärten und esst ihre Früchte; nehmt euch Frauen und zeugt Söhne und Töchter,
nehmt für eure Söhne Frauen und gebt eure Töchter Männern, dass sie Söhne und
Töchter gebären; mehrt euch dort, dass ihr nicht weniger werdet. Suchet der
Stadt Bestes, dahin ich euch habe wegführen lassen, und betet für sie zum
HERRN; denn wenn's ihr wohlgeht, so geht's euch auch wohl. … Denn so spricht
der HERR: Wenn für Babel siebzig Jahre voll sind, so will ich euch heimsuchen
und will mein gnädiges Wort an euch erfüllen, dass ich euch wieder an diesen
Ort bringe.
Denn ich weiß wohl, was ich für
Gedanken über euch habe, spricht der HERR: Gedanken des Friedens und nicht des
Leides, dass ich euch gebe Zukunft und Hoffnung. Und ihr werdet mich anrufen
und hingehen und mich bitten, und ich will euch erhören. Ihr werdet mich suchen
und finden; denn wenn ihr mich von ganzem Herzen suchen werdet, so will ich
mich von euch finden lassen, spricht der HERR, und will eure Gefangenschaft
wenden und euch sammeln aus allen Völkern und von allen Orten, wohin ich euch
verstoßen habe, spricht der HERR, und will euch wieder an diesen Ort bringen,
von wo ich euch habe wegführen lassen.
bestimmt
Zeit: bestimmt von Gott. Vom Herrn
Zebaoth. Vom Gott Israels. Von Gott. Von unserem Gott. Zeit in Gottes Händen,
in Händen, die Zeit umgreifen, fassen, füllen, leeren, die Zeit umfassen von
der Schöpfung bis zur Vollendung, vom Anfang bis zum Ende, von Vergangenheit,
Gegenwart und Zukunft der Menschen. Kaum überschaubar, kaum zu sehen, kaum zu
fassen. Von Gott wieder zurückgebrach. Von ihm heimgesucht. Von ihm weggeführt.
Weg, so weit weg, wie Menschen denken, fühlen, planen, hoffen, leiden können.
Weiter. Viel weiter. Wege zwischen Jerusalem und Babel. Zwischen Babel und
Jerusalem, Wege des Restes, der Ältesten, der Priester, der Propheten, des
Volkes, der Weggeführten, unsere Wege. So weit. So weit zwischen verschiedenen
Orten, Lebenszeiten.
Zugemutete Zeit, ins Exil geführt,
alles von zuhause verloren, in der Fremde, in Gefangenheit, im Dunkel, in
Fragen. Zeit empfunden als Willkür, als Spielball der Mächte, der Zeiten. Große
Namen wie Nebukadnezar. Beherrschte Zeit. Und doch Zeit in Gottes Händen,
irgendwie. Eingebettet in seine Zeit, seine Zeitrechnung, seine Zeitplanung,
seine Zeitdimensionen. Vielleicht sogar eingebetet, in seine Hände
hineingebetet, durch Klage und Trauer, durch Fragen und Wut, durch tausende von
Gebeten, die zweifeln über den Weg. Nachts im Bett, tags in Arbeit.
Irgendwie gesammelte Zeit. In Gottes
Händen. Aus allen Enden. Aus allen Ecken. Noch verborgen gesammelt, so dass es
nur Gott weiß, aber schon genommen, herbeigenommen, aus den Ecken und Enden
unseres Lebens, in die wir verstreut unser Leben leben, fristen, leiden,
suchen. Gesammelte Menschenzeit mühsam von Gott, zusammengesammelt,
zusammengebracht, auf dem Weg, wieder zu sich, wieder zurück. Zeit: in Gottes
Gedanken, Gedanken, die höher, tiefer, weiter sind als unsere, als wir. Gott
weißt, was er denkt, er weiß, was seine Gedanken sind, was seine Gedanken
beinhalten, tragen, mitunter wälzen schwer im göttlichen Schlaf: uns, das Volk
Israel, seine Menschen. Unsere Zeit in seinen gedachten Gedanken. Sie kann
nicht verloren gehen.
Zeit: in seinen Händen, schon
gesammelt. Von ihm bedachte, bemessene Zeit. Bemessen mit 70 Jahren. Warum auch
immer diese Zeitspanne. Bemessen mit gesetzten Anfang und ebenso gesetztem
Ende. Endliche Zeit, formatierte, zugeschnittene Zeit, wie ausgeschnitten aus
dem Ungewissen ungewisser Zeiten, quälend uferloser Leidenszeiten. Es gibt
Anfang und es wird Ende geben, dann ist erfüllt, die Zeit voll wird.
Abgerungen herrlich
So wird Zeit im Exil, die Zeit in der
Fremde, die Zeit, die wir nur lose als Zeit spüren, zur der Zeit, in der
Menschen sich zurechtfinden, zurechtfinden sollen. Sie wird zu einer
abgetrotzten, abgerungenen, hart abgewonnenen Zeit. Sie wird irgendwie inmitten
all der dunklen, fraglichen, unwirtlichen Zeit, voller Gefangenschaft außerhalb
und in uns, zu einer zurecht gelegten, zu lebenden Zeit.
Zeit mit Auftrag und Aufgabe, ganz
elementar: Atmet. Baut. Denkt. Wohnt. Pflanzt. Nehmt. Esst. Fühlt. Zeugt.
Gebärt. Mehrt euch. Hofft. Lebt. Betet. Findet. Zeit gefüllt von Gott erst in
Gedanken, dann im Tun, gefüllt mit Häusern, Betten für die Liebe, mit Frauen
und Männern, mit Städten, mit Bäumen und Früchten, mit Ziegeln, mit Dächern,
mit Söhnen und Töchtern, endlich, endlich wieder mit Leben gefüllt.
Aufgeforderte, zugesprochene,
angesprochene Zeit, dass zu tun, was Menschen von Anfang immer wieder und
trotzdem tun sollen, dürfen, vielleicht sogar müssen: leben. Lebendige Zeit, fruchtbare
Zeit, Zeit mit einer sanften, bestimmten Annäherung an das Gute, ja an die Güte
des Lebens. Zeit mit wiedergegebenen Zweck, mit wiedergegebenen Sinn, zu
Bruchteilen und mit Beulen. Zeit des Suchens, vielleicht gezwungen, vielleicht
immer noch zugemutet, aber des Suchens, in sich selbst, bei anderen, in Worten,
in der Stille, in Büchern, im Stöbern, im Warten, im Wundern. Zeit, Gott
anzurufen, seine Orte aufzusuchen, hinzugehen, Zeit zu bitten, aufrichtig,
schon aufgerichtet. Zeit des ganzen Herzens. Ein Herz: immer mehr ungeteilt zu
Gott, immer weniger gefüllt mit dem Morast von Schuld, mit den Wunden und den
Verletzungen, immer mehr und wieder ein gekittetes, ein ganzes Herz, das sucht.
Zeit erhört zu werden, dass Gott sich suchen lässt, er selbst aus seinem
gefühlten Zeitversteck rauskommt, sich entbergt, offenbart, sich finden lässt.
Eine gewendete Zeit. Im Suchen. Im
Ringen. Im Finden. Eine Zeit, die wieder weniger wenig ist, die voller wird,
die erfüllter wird, gerade so viel, dass Leben wieder Leben ist, das Dunkle an
mehr als nur einem Tag weicht, das Schwere endlich leichter wird, das quälende
Kreisen im Kopf schwindet. Zeit mit keimender Hoffnung, mit Aussicht, mit
Zukunft in sich. Zeit, in der das Leben wieder als Gabe, als Gnade erscheint, neu
ausgerichtet, befriedete Zeit. Zeit in Gottes Gedanken gewendet, nicht mehr so,
sondern nun anders. Endlich.
umgeschrieben
Zeit eines Briefes. Wie viele haben
wir schon bekommen? Wer schrieb sie uns? Was stand darin zu lesen? Beiläufige,
seltene, kostbare Briefe. Zeit eines Briefes, mit Worten Gottes, vom Prophet
Jeremia gesandt an das Volk, Brief, mit weiten Weg, von Jerusalem nach Babel,
von verlorener Heimat nach neuem fremden Zuhause, von Vergangenem ins Jetzt,
zurückgelegt über jene Distanzen, die die Zeit schreibt, zurückgelegt, um zu
verbinden, Gott und sein Volk, Gott und seine Menschen, Suchen und Finden, um
zu verbinden auch Wunden.
Ein Brief, der die Zeit verändert.
Der die Zeit anschreibt, bei Namen nennt, adressiert, bedenkt, mit Worten aus
einer anderen Welt verknüpft. Ein Brief, der Gott zuschreibt, alles, was er ist
und kann und will für seine Menschen. Ein Brief, der die Zeit dieses Volkes,
gefangen im Exil, der die Zeit und das Leben der Menschen umschreibt, eine
andere Bedeutung zuschreibt und das auch ferne Wort Gottes verwebt mit der Zeit
und diese zu einer Anderszeit wird. Es passiert etwas mit dem, der diesen Brief
liest, diese Worte hört. Sein Leben wird heilsam umgeschrieben.
Ein Brief mitten in der Zeit von
Jerusalem nach Babel getragen. Einmal von Gott gesagt, einmal von Menschen
gelesen und immer wieder gelesen, immer wieder gesagt. Sein Wort einverleibt,
zu sich genommen und alles was darin liegt. Ein Brief immer wieder
hervorzuholen, zu allen Zeiten, all die 70 Jahre, ewiges Wort für meine
Lebenszeit, hervorzukramen, haltbar in meinen Händen, erinnerbar, wiederholbar,
leise Wort für Wort auf meinen Lippen: In Gedanken bist du bei mir, Gott. Du
holst mich wieder heim. Amen.
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